Geheimsprache Tagenegat



Prinzipiell ist Tagenegat eine Geheimsprache der Imuhar (Tuareg), die innerhalb einer sozialen Gruppe genutzt wird und quasi eine weitere indirekte Sprechweise darstellt.

Anja: Wer kann denn Tagenegat sprechen?
Kela: Viele.
Anja: Nur Frauen oder auch Männer?
Kela: Tagenegat können Frauen wie auch Männer sprechen. Früher haben viele junge Leute noch Tagenegat gesprochen, heute sind sie zu faul, die Sprache zu lernen.


Die SprecherInnengruppe des Tagenegat ist nicht auf ein bestimmtes Geschlecht beschränkt. Tagenegat ist über die Grenze Algeriens hinaus bekannt. Jedoch gibt es Unterschiede in Bezug auf die Altersstufen.
Gespräch mit einem Amascher aus Agadez/Niger:


Anja: Wann hast Du Tagenegat gelernt?
Yusuf: Als Jugendlicher so mit 13 oder 14 Jahren.
Anja: Und wann hast Du Tagenegat gesprochen?
Yusuf: Wenn ich mich mit meinen Freunden getroffen habe, dann habe ich Tagenegat gesprochen, wenn Erwachsene dabei waren, die nicht Tagenegat konnten. Da konnte ich mit ihnen alles besprechen, ohne dass es jemand verstehen konnte.
Anja: Waren bei den Treffen auch Mädchen?
Yusuf: Ja, diese waren auch manchmal dabei. Da konnten auch einige Tagenegat. Eigentlich konnten mehr Mädchen als Jungen Tagenegat.
Anja: Und als Erwachsener spricht man auch Tagenegat?
Yusuf: Da braucht man es eher nicht mehr.


Auch NomadInnen der Kel Ahnet meinten, dass sie Tagenegat als Jugendliche gelernt haben. Auch wenn Kinder gerne Tagenegat lernen und sich daran versuchen möchten, wird es sie nicht gelehrt. Bei den NomadInnen beginnt man als im Jugendalter Tagenegat zu sprechen, als Erwachsener verliert Tagenegat an Bedeutung.


Akidima: Dieses Jahr hast Du viel Tagenegat gelernt.
Anja: Danke, dass Ihr es mir beigebracht habt.
Akidima: Und wenn Du das nächste Mal kommst, dann bringen wir Dir das zweite Tagenegat bei.
Anja: Was? Es gibt mehrere Tagenegat?
Akidima spricht ein paar Sätze.
Akidima: Das bringen wir Dir dann nächstes Jahr bei.

Codierungen


Anja: Was ist Tagenegat?
Akidima: Ayt Tamahaq (die Söhne des Tamahaq).


Bis dato ist in der wissenschaftlichen Literatur kaum etwas zu dieser Geheimsprache  geschrieben worden. Laut den durchgeführten Recherchen existieren über Tagenegat jeweils nur kurze Angaben. In jedem der angeführten Texte wird eine andere Orthographie angewandt.

Tăgennegeí          Foucauld (1951-52: 462)
Tagenneget          Bernus (1983)
Tagennegent        Casajus (1989a)
Tagennegaí          Nicolaisen/Nicolaisen (1997: 60)
tagənnəgənt         Prasse/Alojaly/Mohamed (1998: 93)
t-a-gənnəgən-t      Heath (2006: 148)  (Zweites ə hat zwei Striche drüber)

Es ergeben sich verschiedene Konsonantenwurzeln:
g-n-g                     Bernus (1983)
g-n-g-í                   Foucauld (1951-52); Nicolaisen/Nicolaisen (1997)
g-n-g-n                  Prasse/Alojaly/Mohamed (1998), Heath (2006); Casajus (1989a)

In dieser Studie wird die vereinfachte Schreibweise nach der Aussprache der Kel Ahnet gewählt: Tagenegat.
Foucauld (1951-52: 462) bezeichnet Tagenegat als eine Art Tamahaq zu sprechen. Heath (2006: 148) und Prasse/Alojaly/Mohamed (1998: 93) geben an, dass es sich um eine „langage secret“ handelt. Bei Bernus (1983: 247) wird Tagenegat als ein „simple javanais“ bezeichnet. Nicolaisen/Nicolaisen (1997: 60) sehen es als  „normal Tuareg secret language“ und Casajus (1989: 135) als „obscure“.

Bei Tagenegat handelt es sich nicht um eine eigene Sprache, sondern um eine Codierung des Tamahaq.

„One very common form of secret language, found in a variety of tribal and complex societies, achieves unintelligibility by process of verbal play with majority speech, in which phonetic or grammatical elements are systematically reordered“ Gumperz (2001: 68).

Die Syntax des Tagenegat ist dieselbe wie die des Tamahaq: Plural und Femininum der Nomen bilden sich gleich und die Verben werden ebenfalls gleich konjugiert. Die Codierung wird bei Foucauld und bei Casajus angegeben, jedoch jeweils verschieden:

Foucauld (1951-52: 462):
„La tăgennegeí la plus us. a pour règles: 1° de renverser les sons de chaque mot; 2° j`ajouter ne au commencement de chacun des mots renversés; 3° d`intercaler kin entre tous les mots. (ex. neêînne kin nekâ    signifie   ennêê âk  ,je te dis‘)“.

Casajus (1989a: 136)  gibt zwei Arten der Codierung an:
„L `une utilise l`affixe aderba et l`autre l`affixe aba.
ARAT WA : 1) aderbA RederbAT WederbA ; 2) abaR abaT WabA “


Bei den Kel Ahnet sind zwei Codierungen bekannt:

Die genaue Codierung mit vielen Beispielen können Sie im Buch Sprechkunst der Tuareg Seite 139-157 nachlesen.
 

Vergleich von Geheimsprachen in der Umgebung


Betrachtet man Geheimsprachen in der Umgebung der Imuhar, so findet man bei den Dogon eine Geheimsprache (siehe dazu Leiris 1948), die sich auf eine bestimmte rituelle Gruppe von Männern beschränkt, welche schwer mit dem Tagenegat zu vergleichen ist.

gus


In dem Gebiet, dass sich nordwestlich von Südalgerien an die Region der Imuhar anschließt, findet man ebenfalls Geheimsprachen. Berjaoui (2001; 2007) berichtet von Geheimsprachen der Araber und Imaziren im südlichen Marokko, die eine ähnliche SprecherInnengruppe, ein ähnliches Codierungsmuster und einen ähnlichen Variantenreichtum besitzen wie Tagenegat.
...
Die SprecherInnengruppe des Tafilalet ist weder auf ein bestimmtes Geschlecht noch auf bestimmte Altersgruppen beschränkt. Interessant ist hier die Möglichkeit, die Geheimsprache zu variieren, so wie im Tagenegat.

Taz.zmiyt  (Tamazirt: Azmi – das Fremde)


Beim Imaziren im Tafilalet existiert ebenfalls eine vergleichbare Geheimsprache.

Berjaoui (2001) gibt drei verschiedene Arten der Codierung an:
...
Das dritte Codierungsmuster ist interessant, da dieses dem Muster der arabischen Geheimsprache âus entspricht. Diese Codierung lässt sich ebenfalls durch die Einsetzung verschiedener Konsonanten variieren.

Die Variationsfähigkeit der Geheimsprachen ist etwas Besonderes, da sie normalerweise bei Geheimsprachen nicht üblich ist. Es gibt für die Geheimsprache der Imuhaê wie auch für die der AraberInnen und Imaziren im Tafilalet keine Beschränkung auf eine bestimmte soziale Gruppe. Die Codierung der Sprache ist auf den ersten Blick nicht gleich.
Im gus wie auch im Tazmiyt kommt es zu einer Metathese der Konsonanten. Vor den Konsonanten wird eine zusätzliche Silbe eingefügt, zusätzlich wird der letzten eigefügten Silbe ein in angehängt. Betrachtet man an der Stelle nochmals die vor mehr als 100 Jahren eruierte Codierung Foucauld`s, so lassen sich gewisse Parallelen erkennen.
Auch bei Foucauld werden die Konsonanten verschoben, ein Affix zugefügt, welches ebenfalls auf  in endet.

Da laut einer Legende von Tin Hinan die Imuhar aus dem Tafilalet  stammen, könnte sich die Geheimsprache aus dem Tafilalet im Ahaggar weiterentwickelt haben und zwar über Foucauld`s Codierung bis zum heutigen Tagenegat. Der zusätzliche n- Konsonant im Niger und die Annahme, dass es sich um einen kodierten Begriff handelt, deuten darauf hin, dass es sich möglicherweise um ein Überbleibsel aus der Codierung im Tafilalet handelt.

Da dieser Studie keine linguistische Untersuchung sein kann, sind Arbeitshypothesen möglich. Für diese Studie sind vor allen die sozialen Aspekte der Geheimsprache von Interesse.  

Funktionen der marokkanischen Geheimsprachen (TSL) und Tagenegat


Nicht nur die SprecherInnengruppe der Geheimsprache (TSL) sind vergleichbar mit dem Tagenegat,  sondern auch die Funktionen der Geheimsprache.

„Interestingly, the TSLs are also used as a memento of the past. Thus, individuals who have not seen each other for a long time, use the TSLs to talk about the many experiences that were shared before. We shall refer to this functions as the nostalgic one“ (Berjaoui 2007: 29).


Auch das Tagenegat hat diese nostalgische Funktion, wie im Gespräch mit Kela über die Unterhaltung mit ihrem Neffen erwähnt wird. Tagenegat wie auch TSL werden eingesetzt, um etwas vor Kindern oder Fremden zu verschweigen. Damit zeigt sich die Geheimhaltungs-Funktion.
Mit Hilfe des Tagenegat können sich zwei Personen über eine dritte Person, die nicht Tagenegat spricht, lustig machen. Berjaoui (ebd.) nennt dies die Komödien-Funktion.
Vor allem Jugendliche sprechen Tagenegat und lernen diese Sprache im Freundeskreis. Damit hat die Sprache auch Initiationsfunktion, indem man sie spricht, gehört man der SprecherInnengruppe an. Mit dem Wissen über Tagenegat erfolgt die Zugehörigkeit zur SprecherInnengruppe und man unterscheidet sich dadurch von Nicht-SprecherInnen. Beherrscht man Tagenegat, kann man sein Können vorzeigen und höheres Prestige erreichen. Darauf weist auch Basim´s  Aussage hin, die besagt, dass ein Mensch intelligent sein muss, um Tagenegat sprechen zu können.
So wie die TSL hat das Tagenegat auch eine spielerische Funktion. Wie aus den Gesprächen vorher ersichtlich, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Tagenegat zur Unterhaltung dient.
 

Auszug aus Sprechkunst der Tuareg

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