ARBEIT DER NOMADEN KINDER UND JUGENDLICHEN IN DER SAHARA

In einer nomadischen Familienwirtschaft ist die Mitarbeit von Kindern unumgänglich. Von klein an werden Kinder zur Mitarbeit erzogen. In den ersten Lebensjahren kann man die Arbeitsfelder nicht genderspezifisch kategorisieren. In gleitenden Übergängen differenzieren sich die Arbeitsfelder der Mädchen und Buben immer mehr genderspezifisch aus; bis zur Pubertät übernehmen dann Jugendliche mehr und mehr Aufgaben der Erwachsenen. Oft liegen fixe Arbeitszuweisungen innerhalb der Altersstufe vor. Wird zum Beispiel ein Mädchen älter, übernimmt sie die Aufgaben der älteren Schwester, die wiederum die Arbeiten ihrer älteren Schwester übernimmt. Die Aufgabenverteilung wird je nach Familie individuell geregelt.

Die Arbeit von Kindern und Jugendlichen von der Erwachsenenarbeit differenziert zu betrachten, ist keine leichte Aufgabe, da die Handlungsfelder ineinander übergehen. Auch hier ist jeder Jugendliche individuell zu betrachten und so ist es nicht möglich, einen genauen Zeitpunkt anzugeben, wann ein Jugendlicher vollständig spezifische Arbeiten übernimmt. Akzeptanz oder Rebellion gegenüber zugeteilten Arbeitsaufgaben ist Ausdruck der jugendlichen Persönlichkeit.

1. Mitarbeit in der Kleinviehzucht
2. Mitarbeit in der Milchökonomie
3. Mitarbeit in der Dromedarzucht
4. Sammeltätigkeit
5. Reinigung
6. Trinkwasser- und Nahrungsversorgung
7. Kleinkinderbetreuung
8. Dienen/Botendienst
9. Spielerische Ökonomie

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1. Mitarbeit in der Kleinviehzucht

Innerhalb der Viehzucht der Imuhar (Tuareg) sind den Kindern einer Familie meist fixe Aufgaben zugeteilt. Diese haben sie täglich zu verrichten. Während kleine Kinder Jungtiere einfangen, treiben ältere Kinder die verstreute Herde wieder zusammen oder melken sie.

1.1 Treiben

Am Morgen ist es die erste Aufgabe der Kinder jenes Kleinvieh, das sich in der Nacht vom Zelt entfernt hat, wiederzufinden und zum Zelt zurückzutreiben. Ohne Frühstück ziehen die Kinder los und treiben die Tiere zurück zum Zelt. Manche Nomadinnen binden die Jungtiere frühmorgens los und lassen sie zu ihren Müttern laufen, andere Nomadinnen lassen sie angebunden, bis die Muttertiere zum Zelt zurück kommen. Bei einer Übersiedlung treiben meist ältere Mädchen die Kleinviehherden zum neuen Standort. Am Vormittag gehen die Mütter mit ihren Kindern und den Jungtieren zur Fütterung zu den Akazienbäumen. Kinder haben hier die Aufgabe, die kleine Herde der Jungtiere zu dem entsprechenden Baum zu treiben. Die Nomadin beherrscht einige Lockrufe, damit die Jungtiere ihr folgen, trotzdem verstreuen sich die Zicklein gerne und die Kinder müssen sie antreiben.

1.2 Einfangen

Die nächste Aufgabe der Kinder ist es, die Jungtiere wieder einzufangen. Morgens und abends müssen die Jungtiere eingefangen werden: eine recht schwierige Aufgabe, die sehr viel Geschick erfordert. Gerade kleine Kinder jagen sehr lange wild hinter den verschreckten Jungtieren her, bis sie diese fangen. Größere Kinder entwickeln gewisse Techniken des Heranlockens beziehungsweise Anschleichens. Es gilt, ein Bein des Jungtiers zu greifen,
wobei Kindern dies meist durch einen Hechtsprung gelingt. Blessuren bleiben dabei nicht aus. Lämmer sind grundsätzlich leichter einzufangen, jedoch noch schwerer und so gelingt es Kleinkindern nur noch durch Ziehen des Tieres, sie an den Standplatz zu schaffen. Besonders gefährlich ist es für
Kleinkinder männliche Lämmer einzufangen. Diese haben schon recht kräftige Hörner und greifen durchaus die kleinen Kinder an.
Sehr schwer sind Kinder zu motivieren, in der Dämmerung Jungtiere einzufangen. Ohne Licht und meist ohne Schuhe in unwegsamem Gelände Jungtiere einzufangen, erfordert Ausdauer. Oft sind die Kinder von der Arbeit untertags erschöpft, und die Mutter hat die Aufgaben der Kinder zu übernehmen. Werden die Jungtiere über Nacht nicht angebunden, besteht die Gefahr, dass sie sich vom Zelt entfernen und leichte Beute für die Schakale sind.

1.3 Kontrollieren/Hüten

Selten fallen in der Kleinviehzucht der Kel Ahnet Hütearbeiten bei Kleinvieh an. Die Herde wird nicht auf die Weide begleitet. Manchmal werden Kinder zur Kontrolle den Herden hinterhergeschickt, damit sie die richtige Position der Herde eruieren. Die Herde agiert an sich selbständig. Manchmal bekommen Kinder von ihren Müttern die Aufgabe gestellt, die Jungtiere an einem bestimmten Platz zusammenzuhalten. Aber auch diese Hütearbeit ist selten

2. Mitarbeit in der Milchökonomie

Zugewiesene Arbeiten in der Milchökonomie der Kleinviehzucht verrichten vorwiegend Mädchen. Nur Melkarbeiten bei Dromedarstuten übernehmen auch ältere Burschen.

2.1 Melkarbeiten bei Kleinvieh

Ab der Pubertät erlernen die Mädchen das Melken und übernehmen damit Aufgaben der Mutter. Melkarbeiten fallen morgens und abends an. Übernimmt ein Mädchen diese Aufgabe, wird sie von anderen Aufgaben entlastet. Die Arbeit mit den Muttertieren ist individuell verschieden. Manche Mädchen entwickeln eine Beziehung zu den Tieren, sodass sie diese leicht anlocken können. Andere Mädchen wiederum müssen trickreiche Einfangtechniken anwenden. Je nachdem fällt dann auch ihre spätere Arbeitsweise als Herdenmanagerin aus.

2.2 Melkarbeiten bei Dromedarstuten

Das Melken von Dromedarstuten erfordert meist zwei Personen. Dromedarstuten lassen sich nur im Beisein des Fohlens melken. Meist hält jemand die Stute fest, während ein anderer das Fohlen kurz trinken lässt. Dann wird das Fohlen abgedrängt und es kann gemolken werden. Diese Arbeit führen sowohl Jugendliche als auch Erwachsene beiderlei Geschlechts durch. Die Dromedarstuten werden morgens noch vor dem Kleinvieh und abends meist nach dem Kleinvieh gemolken.

2.3 Milchverarbeitung

Nur Mädchen und Frauen arbeiten in der Milchverarbeitung. Mädchen müssen schon früh die richtige Technik zum Schütteln des Buttersacks lernen. Dies ist die einzige Arbeit innerhalb der Milchverarbeitung, die von Mädchen durchgeführt werden darf. Die Arbeitsorganisation der Milchökonomie wird individuell innerhalb jeder Familie gehandhabt. In manchen Familien wechseln die Töchter und die Mutter einander bei den verschiedenen
Aufgaben ab, in anderen Familien wiederum herrscht klare Arbeitszuteilung. Alle weiteren Arbeiten in der Butter- und Käseproduktion werden nur von Ehefrauen durchgeführt.

3 Mitarbeit in der Dromedarzucht

Normalerweise arbeiten in der Dromedarzucht nur Burschen und Männer. Aber auch ältere Mädchen müssen, falls notwendig, bei der Hütearbeit aushelfen. Burschen arbeiten den ganzen Tag als Hirten der Dromedarstuten, helfen beim Tränken von Dromedaren, dienen als Späher für neue Weiden und Lagerplätze oder suchen beziehungsweise kontrollieren die Dromedarherden, die sich weiter entfernt befinden. Spätestens beim Einsetzen
der Pubertät werden von Burschen in der Kleinviehzucht keine Arbeiten mehr durchgeführt. Es beginnt die Ausbildung in der Dromedarzucht. Herrscht Dürre und die Weiden sind zu trocken, um Kleinvieh gemeinsam mit Dromedarstuten zu halten, dann verzichtet man auf die Stutenmilch und die Burschen begleiten die Stuten auf die Fernweiden. Dort hütet eine Gruppe von ihnen dann die Stuten.

4. Sammeltätigkeit

Schon kleine Kinder gehen mit der Mutter Holz sammeln. Durch Nachahmung der Tätigkeit lernen sie das Wissen über die Holzauswahl und den Transport. Manchmal schickt die Mutter ihre Kinder alleine zum Holzsammeln, wenn nicht viel Brennholz benötigt wird. Hat eine Frau ältere Töchter, gehen diese für sie Holz holen. Burschen, die schon in der Dromedarzucht arbeiten, gehen nicht mehr Holz sammeln.
Für Mädchen ist die Holzarbeit eine anstrengende Tätigkeit, da mit dem Beil oft trockene Stämme und dicke Äste zerteilt werden müssen. Aber auch mit schweren Steinen, die auf grobe Äste geworfen werden, versuchen die Mädchen das Holz zu zerkleinern. Immer weitere Distanzen müssen die Mädchen gehen, je länger sich das Zeltlager an einem Ort befindet. Die Mädchen schließen sich dabei meist mit den Nachbarmädchen zusammen, um auch die großen Hölzer zerkleinern zu können.

5. Reinigung

Gewöhnlich waschen Mädchen ab der Pubertät  die Kleidung der gesamten Familie. In Gruppen gehen sie zur Wasserstelle. Ist eine Wasserstelle in unmittelbarer Umgebung des Lagerplatzes, gehen die Mädchen jede Woche einmal Wäsche waschen. Mit Kernseife, erworben in den Oasen, wird die Kleidung  gereinigt und dann zum Trocknen ausgelegt.
Während die Wäsche trocknet, nutzen die jungen Nomadinnen die Gelegenheit, um sich selbst gründlich zu waschen. Dafür verschwinden sie mit einem Sack Wasser und einer Schüssel in das nähere Umfeld. Diese Arbeit wird nach der Mittagsmahlzeit erledigt, bevor sie Holz sammeln gehen müssen.

6. Trinkwasser- und Nahrungsversorgung

Liegt eine Wasserstelle in der Nähe, gehen Jugendliche mit Eseln Wasser holen. Früher dienten Ledersäcke zum Transport des Wassers. Heutzutage benutzen Kel Ahnet-NomadInnen Autoreifenschläuche zum Wassertransport. Sind die Schläuche mit Wasser gefüllt und verknotet, hängen die Jugendliche den Sack mit einem Strick unter den Bauch des Esels. Diese Tätigkeit erfolgt zumeist am Nachmittag und wird oft mit dem Tränken des Kleinviehs
kombiniert. Ist die Wasserstelle weit entfernt, geht meistens eine Gruppe junger Männer mit Dromedaren zum Wasser holen. Männer, die keine älteren Söhne haben, gehen selbst zu den weiter abgelegenen Wasserstellen, um Trinkwasser für die Familie zu holen.
Die jugendliche Tochter einer Nomadin übernimmt des  Öfteren die Zubereitung der Mahlzeiten. Sie bäckt Tagella, bereitet die Soße vor und wäscht ab. Sie füttert auch die kleinen Geschwister.

7. Kleinkinderbetreuung

Ältere Schwestern bekommen die Aufgabe zugeteilt, auf ihre jüngeren Geschwister aufzupassen, während die Mutter arbeitet. Gerade am Morgen und am Abend, wenn die Mutter mit der Herde und der Zubereitung der Mahlzeit beschäftigt ist, kümmern sich die Mädchen um die Kleinkinder. Sie spielen mit ihnen, tragen sie herum, füttern sie und wiegen sie in den Schlaf. Mädchen ab ungefähr sechs Jahren fällt diese Aufgabe zu.

8. Dienen/Botendienst

Sobald ein Kind laufen kann, wird es dazu erzogen, benötigte Sachen zu bringen. Mit Lob versucht die Mutter, das Kind dazu zu bewegen, zum Beispiel einen Becher zu holen. Zunächst fallen Bringdienste rund um das Zelt an. Sind die Kinder schon etwas größer, übernehmen sie Botendienste auch zwischen den Zelten. Sie sind auch diejenigen, die die fertigen Schüsseln mit der Festmahlzeit zu den Männern bringen.

9. Spielerische Ökonomie

Die Ökonomie wird von Kindern in ihrer Freizeit spielerisch nachgeahmt. Kleine Mädchen bauen aus Stöcken und Stoffresten Miniaturzelte. Ein mit Stoff umwickelter Halm stellt eine Frau dar, ein nur an einem Ende mit etwas Stoff umwickelter Halm gleicht einem Turban und stellt einen Mann dar. Aus Dromedarkötteln und Dornen basteln sie die Viehherden. Kleine Burschen basteln bevorzugt einen Reiter auf einem Dromedar.
Meist dient ein halber Unterkieferknochen einer Ziege als Dromedar. Darauf wird mit Stöcken und Stoffresten ein Reiter gesetzt. Genderspezifische wirtschaftliche Handlungsfelder werden von Kindern im Spiel antizipiert und rekonstruiert.


Auszüge aus:
Fischer, Anja 2008: Nomaden der Sahara

Imuhar (Tuareg) Frauenarbeit
Imuhar (Tuareg) Männerarbeit
 

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