SCHMUCK : AZREF

Heutzutage sind die Imuhar (Tuareg) eine der wenigen afrikanischen Gesellschaften, dessen materielle wie immaterielle Kulturgüter sehr gut auf dem globalen Marktplatz platziert sind wie z.B. ihre Musik, ihre Dichtkunst, und natürlich auch ihr Silberschmuck.
Im Folgenden möchte ich darlegen, wie sich das Kulturgut Schmuck vom ursprünglich überwiegend magisch-religiös bedingtem Schmuck zu einer weltweit vermarkteten Ware Ethnoschmuck wandelte, über welche Netzwerke die Vermarktung passiert und was dies für die Gesellschaft der Imuhar bedeutet.

          
Traditioneller Schmuck                               Moderner Schmuck

Hersteller

Die  Gesellschaft der Imuhar ist in mehrere soziale Gruppen unterteilt. Die Enadan sind die Gruppe der Handwerker, die den Silberschmuck herstellen, aber auch Metallarbeiten durchführen wie die Herstellung der Schwerter. Metallarbeiten gelten allgemein in der Gesellschaft der Imuhar als "unreine" Tätigkeit. Diese Handwerker sind respektiert, jedoch auch gefürchtet. Enadan werden grundsätzlich gemieden, da sie angeblich über dunkle, unheilbringende Kräfte verfügen und willkürliche Forderungen stellen können, denen man sich schwer entziehen kann.
Mit guter Bezahlung kann man sich jedoch schützen vor negativen Folgen, die von Seiten eines unzufriedenen Handwerkers drohen könnten. Enadan sind auch ursprünglich die Verkäufer des Silberschmucks.

Herstellung


Die Herstellung des Schmuckes erfolgt im Sitzen am Boden. Ein Kohlefeuer wird mit Blasebalg angefeuert und das glühende Metall auf einem kleinem Ambo geschmiedet. 

Gussverfahren:
Aus Wachs wird ein Modell hergestellt, dass mit Ton umkleidet wird. Vorsichtig wird der Wachs durch leichtes Erhitzen    entfernt. Dann wird die Rohform durch Bennnen gehärtet. Danach wird das flüssige Metall in die Gussform gefüllt und nach der Abkühlung wird die Tonform abgeschlagen. 

Metalltreibetechnik:
Es werden Hohlformen aus verschiedenen Metallblechen hergestellt wie zum beispiel für die abgestuften Pyramidenformen der Metallarmulette.

Punzen, Ritzdekor, Gravieren:
Die Oberfläche des Metalls wird oft mit geometrischen Mustern versehen, die ohne Vorzeichnung direkt auf das Objekt aufgebracht werden.

MATERIALIEN
 

(Edel-)Metalle
Als Rohmaterial wurden früher vor allem Münzen wie der Maria-Theresien-Taler verwendet. Es werden aber auch andere Münzen mit weniger Silberanteil verwendet oder Barren in unterschiedlicher Qualität erworben.
In den Touristengebieten in Marokko und Tunesien findet man oft "Tuareg" Schmuck mit hohem Nickelanteil oder aus Stahlblech.

Achat

Immer wieder findet man bei Imuhar (Tuareg) Schmuckstücke aus Achat, vor allem aus den roten Karneol. Einerseits kann man Armbänder mit geschliffenen Achatperlen finden, aber auch spitze Turmringe und auch Haarschmuck besonders für Hochzeiten.
Gerd Spittler erforscht in seinen Artikel Der Weg des Achats zu den Tuareg – eine Reise um die halbe Welt die globalen Zusammenhänge der Herkunft und Transportrouten bis in die Sahara.
So scheint zunächst Achat aus Cambay (Indien) und aus Ida-Oberstein (Deutschland) in die Sahara gelangt zu sein. Nachdem das Achatvorkommen in Idar-Oberstein schon Anfang des 19.Jahrhunderts versiegte, wurde Achat aus Brasilien nach Idar-Oberstein gebracht, dort geschliffen und weiter gehandelt bis in die Sahara.

Leder
Die verschiedenen Schmuckanhänger werden oft an Ziegenlederbänder befestigt. Lederamulette sind teilweise mit gefärbten Ziegenleder dekoriert.

Glasperlen
Vielfach werden schwarze Glasperlen als Verzierung von Ketten verwendet.

Ebenholz
Als Anhänger oder Ringverzierungen dient heutzutage auch das extrem harte Ebenholz, es gibt jedoch kein natürliches Vorkommen im "Tuareg" Gebiet.

Schmucksteinen
Immer mehr werden zugekaufte Schmucksteinen mit in Anhänger eingearbeitet.

Traditioneller Silberschmuck

Imuhar-Frauen tragen traditionell Schmuck wie Ohrringe, Haarschmuck, Ketten, Brustamulette, Armreifen und Ringe.
Imuhar-Männer  tragen vor allem Fingerringe, Oberarmreifen, Brustamulette und Amulette am Chech.

Traditionelle Schutzamulette

Besonders die Amulette dienen zur Abwehr des Bösen, zum Schutz der Familie und des Viehs und zur Heilung von Krankheiten. Sie werden traditionell in der Gesellschaft der Imuhar von beiden Geschlechtern getragen und sind bzw. waren Teil der Alltagstracht. Der Amulettschmuck gibt uns Anhaltspunkte über das Denken seiner/ihrer TrägerInnen, über die Ängste und Wünsche der Menschen. Sie sind Ausdruck einer überlieferten Lebensform.
In Lederamulette werden religiöse Sprüche eingearbeitet. Diese werden von religiösen Männern, Ineslemen, speziell für eine Person gefertigt. Deswegen können diese Schutzamulette so teuer wie ein Kamel sein. Der immaterielle Wert der Lederamulette ist deutlich höher als der rein materielle Wert.
Schutzamulette gibt es aber auch traditionell in Metallausführung ( Silber), welche von der Gruppe der Enadan hergestellt werden, meist ohne religiösem Spruch im Inneren. Hier wirkt vor allem das Metall mit der Ornamentik als beschützend.
Dafür wird die Vorstellung genutzt, dass Silber traditionell als rein und glücksbringend gilt. Gold gilt traditionell als unrein und ist behaftet mit einem gewissen Odium der Verschwendung,  wogegen sich der Prophet Mohammed gewendet hat.

Wandel

Trotz riesiger Entfernungen der weit verstreuten Wohngebiete der Imuhar weist ihre Schmuckkunst, trotz der Unterschiede lokaler Stile, grundsätzliche Gemeinsamkeiten auf. Diese Gemeinsamkeiten sind nicht durch Verschlossenheit der Gesellschaft oder fehlenden Kulturkontakt entstanden, sondern durch eine ausgeprägte Tendenz zur Assimilation und Integration von Einflüssen z.B. aus dem Maurischen wie auch Berberischem.
Jedoch haben die kolonialen und postkolonialen Veränderungen und der globale Zugriff der Moderne das Schmuckhandwerk sowie die Gesellschaft der Imuhar insgesamt nachhaltig beeinflusst. Ursprünglich waren die Käufer der Schmuckstücke nur Imuhar selber. Kolonialisten sowie die darauffolgenden TouristInnen und EntwicklungshelferInnen interessierten sich zunächst vor allem für alten, traditionellen  Silberschmuck der Imuhar.
Auch zahlreiche Ausstellungen über Tuareg und ihrem Kunsthandwerk machten den einzigartigen Schmuck der Imuhar in Europa und Amerika immer bekannter. Zunächst waren die Verkaufsorte vor Ort, die Schmieden der Enadan und kleine Schmuckgeschäfte vorzugsweise direkt in Touristenhotels. Dann wurde der Silberschmuckverkauf sogar direkt an die  verschiedensten Orte und Plätze der Sehenswürdigkeiten in die Wüste verlagert.
Waren es früher nur Enadan, die ihren selbst gefertigten Schmuck verkauften, begannen nun auch andere Imuhar, vor allem junge Männer, in das lukrative Geschäft des Silberschmucks einzusteigen.
Durch den Tourismus öffneten sich auch die Tore  für die Imuhar-Schmuckverkäufer in die ganze Welt. Vor allem Touristinnen brachten und bringen die jungen Schmuckverkäufer nach Europa und Amerika. In ihrem Heimatland organisieren die GastgeberInnen meist unentgeltlich den Schmuckverkauf.

Moderner Verkauf

Mittlerweile ergeben sich verschiedene Vertriebswege der Schmuckvermarktung ausserhalb der Sahara:
Sehr beliebt sind Verkaufsstände auf Märkten vor allem auf Afrikafestivals in Europa und USA.
Hier ergeben sich oft Kontakte zu heimischen Schmuckgeschäften oder Weltläden, die in Folge dann auch direkt besucht werden.
Gerne werden auch Verkaufsparties in privatem Rahmen organisiert. Die GastgeberInnen laden ihre Freunde zu einem Fest ein, auf dem  von den Imuhar Schmuck vorgestellt und verkauft wird.
Die allerneuesten Vertriebswege sind Verkaufsshops im Internet, die zumeist von den europäischen bzw. amerikanischen OrganisatorInnen entwickelt werden.

Mittlerweile versuchen aber auch Händler im Niger, Mali oder Algerien über Internetshops Direktverkäufe zu tätigen.

Moderner Silberschmuck für den globalen Markt

Nicht nur die Vertriebswege, VerkäuferInnen- und KäuferInnengruppen des Silberschmucks wandelten sich, sondern auch der Schmuck an sich.
Vor allem durch den zunehmenden Tourismus begannen die Enadan, sich mit ihren Produkten den Vorlieben der EuropäerInnen und AmerikanerInnen anzupassen.
Aus den traditionell quadratisch-magischen Silberamuletten entwickelten sie z.B. diverse Fantasieanhänger.

Während Imuhar vor allem schweren Silberschmuck bevorzugten, sind die modernen Schmuckmodelle für den globalen Markt wesentlich leichter. Der moderne Schmuck ist selten noch aus reinem Silber. Besonders in den Touristengbieten in Nordafrika wie Tunesien und Marokko findet man oftmals als Tuareg verkleidete Einheimische, die den Schmuck in Blechausführung oder vielfach gemischt mit Nickel günstig anbieten.

Tuaregkreuze

Am Beispiel der sogenannten Tuaregkreuze lässt sich der Bedeutungswandel gut nachvollziehen.
Man kann davon ausgehen, dass der heute als Zinder-Kreuz bezeichnete Anhänger zunächst als Zahlungsmittel benutzt wurde, welcher aufgefädelt in unterschiedlicher Stückzahl um den Hals getragen wurde.

 Zinder-Kreuz

In der Kolonialzeit begann eine gewisse Zuschreibung von Anhängern zu bestimmten Regionen. TouristInnen und EntwicklungshelferInnen zeigten großes Interesse an diesen Silberanhängern und ihrer Bedeutung. So entwickelten geschäftstüchtige Handwerker neue Formen und ordneten sie einer Region zu. Eine breite Palette von sogenannten "Tuareg-Kreuzen", mittlerweile mindestens 21 Kreuzformen, sind entstand, darunter auch das sogenannte Agadezkreuz bzw. Kreuz des Südens.
Es gibt kein Belege in historischen Quellen, dass die sogenannten Kreuze ursprünglich wirklich einen regionalen Bezug hatten. Heute werden Kreuze in allen Größen und verschiedenster Ausformung produziert, meist reine Fantasieformen. Eine ganz neue Variante  ist zum Beispiel ein Tuaregkreuz in einer Ausführung als Bierflaschenöffner.

 Fantasievolle Deko-Kreuze

Moderner Schmuck der Imuhar

Der Silberschmuck ist mittlerweile aus dem Alltag der Imuhar nahezu verschwunden.
Heutzutage hat sich der Schmuckgeschmack im gesamten Sahararaum in Richtung Gold gewandelt.
Ringe, Ketten, Armbänder und vor allem große Ohrringe müssen aus Gold sein. So wird versucht, den alten Silberschmuck zu verkaufen und dafür Goldschmuck zu erwerben. Auch hier gilt wie für den alten Silberschmuck nach wie vor, je schwerer der Schmuck desto beliebter. Mode bei den Imuhar-Frauen wie auch bei den Männern ist derzeit schwerer Goldschmuck. Die magisch-spirituelle bzw. symbolische Bedeutung des Silberschmucks ist nicht mehr präsent.

 
Goldohrringe, Nomadin Algerien
 

      
Goldschmuck, Urbane Frauen bei einer Hochzeit, Niger

Ökonomische Bedeutung des Schmuckhandels

Jedoch muss man den ökonomischen Aspekt  des Silberschmuckhandels bedenken. Gerade durch den Direktvertrieb durch die Imuhar in Europa und Amerika profitieren nicht nur der Verkäufer und der Hersteller, sondern darüber hinaus profitieren davon mehrere Familienverbände. Der Verkäufer ernährt damit seine direkte Familie, wie seine Ehefrau, Kinder, Geschwister, Eltern, Onkel, Tanten sowie auch die Familie seiner Frau. Des weiteren unterstützt der Verkäufer oft finanziell enge Freunde und deren Familie. Das gleiche Distributionsverfahren vollzieht der Handwerker des Schmuckes. Oft nimmt der Verkäufer auch noch Waren anderer Händler in Kommission mit nach Europa, sodass auch deren Familie davon profitieren. So unterstützt der Schmuckverkauf eines einzelnen Händlers eine große Anzahl von Imuhar in der Sahara.  Der Schmuckverkauf bietet deutlich mehr Stabilität und somit finanzielle Sicherheit für viele Imuhar-Familien als die Arbeit im Tourismus.

Die magisch-religiöse Bedeutung des Silberschmucks ist zwar deutlich zurückgegangen, jedoch ist die ökonomische Bedeutung für große Teile der Imuhar-Bevölkerung enorm gestiegen.
 

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