Feldforschungsmethoden und Techniken

Feldforschungstechniken zur  Datenerhebung:


- Befragen (aktiv in Gesprächen, Interviews, Fragebögen,..)
- Unterhalten
- Beobachten (aktiv Zuschauen, offen/verdeckt,..)
- Sehen 
- Hören (Geräusche, Laute,...)
- Schmecken
- Riechen
- Fühlen (Oberflächenbeschaffenheit, Tasten, körperliche und seelische Fühlen, ...)
- Teilnehmen (Beteiligen,..)
- Nachvollziehen (Durchführen,..)
- Experimentieren (Versuche,...)
- Intervenieren (Involvieren,...)
- Empfinden („Going native“; Autoethnographie)

- Messen (quantitative Forschung; Zeit, Anzahl,..)
- Erheben („Mikroanalyse“ z.B. Erhebung von Genealogien, Praktiken,...)
- Sammeln von materiellen Gütern (Werkzeuge, Geschirr, Zelte, ...)
- Sammeln von immateriellen Gütern (Gedichte, Sprichwörter, Rituale, ...)


Kombinationen:
- Teilnehmende Beobachtung
- Dichte Teilnahme

Beste Resultate durch geduldiges Warten ( Spittler 2001: 21)

Datenaufzeichnungstechniken:

- Mitschrift
- Gedächnisprotokoll
- Tagebuch (Beschreibung des Alltags auf Papier oder direkt in PC)
- visuelle Aufzeichnungen (Fotographie, Film,..)
- akustische Aufzeichnungen (Tonband, digitale Aufzeichnungsgeräte, ...)

Feldforschungsmethoden (u.a.):

(Herangehensweisen bzw. Beschreibungsmethoden)


- Klassische Ethnographie (nach Malinowski)
- Grounded Theory (Datenauswertungsmethode)
- Quantitative Methoden (Statistiken,..)
- Extended-Case Methode (nach Gluckmann)
- Hermeneutische Methode (Hermeneutische Wissenssoziologie,...)
- Mobile Ethnographie (Multi-Sited Ethnography; postmoderner Ansatz)
- Interpretative Ethnographie (nach Geertz)
- Kollaborative Ethnographie (nach Lassiter)
- Reziproke Ethnographie (nach Lawless)
- Ethnographie des Sprechens (nach Hymes)
- Netzwerkanalyse
- Ethnomethodologie (lokale Praktiken)
- Autoethnographie (Selbsterleben/ Reflektion)
- Aktionsethnologie (Aktives Intervenieren)
- Ethnopsychoanalyse
 


Erfahrungen aus der Praxis:
 

Problemstellungen der Feldforschung bei Imuhar (Tuareg) Nomaden und Nomadinnen


Selektive Gruppe

Es ist mir bewusst, dass es sich bei den Kel Ahnet-NomadInnen, die zu den Imuhar (Tuareg) gehören, um eine relativ kleine Gruppe handelt, die natürlich nicht repräsentativ für alle Imuhar/Imuschar/ Imascheren NomadInnen  zu sehen ist, sondern vielmehr exemplarisch. Andrerseits hätte ich in einem städtischen Umfeld über mehr als 150 Menschen forschen können?
Bei den Kel Ahnet habe ich die Gelegenheit, jedes Mitglieder der gesamten Gesellschaft zu kennen und über einen längeren Zeitraum so eine nomadische Gesellschaft zu beobachten (inklusive der Kontakte zur sesshaften Bevölkerung), während ich in urbaner Umgebung sehr selektiv arbeiten und mir die Wahl meiner Kontakte gut überlegen müsste, um eine repräsentative Aussage zur Gesamtbevölkerung vor Ort treffen zu können. Wenn ich 150 Menschen in Tamanrasset studiere, eine Stadt mit 150.000 EinwohnerInnen, kann ich dann eine Aussage über die Gesamtbevölkerung Tamanrassets treffen beziehungsweise über alle Imuhar (Tuareg)? 

Lernen nicht zu fragen

  „I contend that interview techniques are prima facie expressions of our underlying, generally unstated theories of communication and of reality“ (Briggs 1986: 115).  

Es ist in der Gesellschaft der Imuhar nicht üblich, viele Fragen zu stellen. Sobald man beginnt, viel zu fragen, werden die GesprächspartnerInnen sofort skeptisch und das Gespräch wird zumeist beendet.( ) Die qualitative Methode des Interviews, die in der ethnographischen Forschung durchaus vielfach Verwendung findet, habe ich bei meiner Feldforschung nicht verwendet. Besonders nicht Interviews, in dem der Interviewpartner beziehungsweise die Interviewpartnerin gezielt in ein künstliches Umfeld platziert wird und damit dem sozialen Raum enthoben, der meiner Ansicht nach wichtig ist für die Interpretation des Gesagten.  Die Situation, in der die Ethnographin die Fragen vorgibt und die Lokalbevölkerung antwortet, wird von Imuhar (und nicht nur von diesen) als Ausfragen empfunden und sehr bald verweigert. Ich hatte auch den Eindruck, wenn ich zu viel zu einem Thema frage, erfolgen Antworten, von denen die Kel Ahnet denken, dass ich sie gerne hören würde, oder die ein Bild vermitteln, wie sie sich gerne verhalten beziehungsweise gesehen hätten.  Imuhar geben Informationen sehr selektiv. Sie wiederum stellen nur wenige Fragen zu meinem Leben in Österreich. Meist sind es Fragen zu meiner Familie und über die Wetterbedingungen in Europa.   

„Given the degree to which interview techniques form powerful encapsulations of our folk views of life and language, what we are exporting is not simply an approach to research. The formula is classic: members (primarly) of the middle and upper middle classes of dominant, Western societies enter into other communities. Once there, they impose a priori notions of the most efficient means of accomplishing their goals. The goals themselves are not intrinsically malignant; [...]“ (Briggs 1986: 121).

Eine dominante Gesprächsführung, in der eine Gesprächsteilnehmerin immer die thematische Richtung bestimmt, kann zu einer Form des „scientific colonialism“ (Hymes 1974: 49) führen.   

Zuhören

Bei allen Dialogen in meinen Studien handelt es sich um informelle Gespräche, und nicht um eine klassische Interviewsituation. In dieser Situation auch noch Forschung zum Thema Geheimsprache zu verfolgen, ist besonders schwierig. Wie in den europäischen Gesellschaften auch ist die Verwendung von Geheimsprachen, Rätseln, Sprichwörtern oder Gedichten eher rar. Das erschwert zusätzlich die Forschung, wenn man darauf wartet, an einer authentischen Situation zur Forschungsthematik teilzunehmen.
 Die Methode des bewussten Zuhörens inklusiver gewisser Lenkung der Thematik kann damit sehr langwierig sein. So habe ich sechs Jahre bis zur Entdeckung der Geheimsprache gebraucht. Es hätte genauso gut sein können, dass ich während meiner ersten Feldforschung davon erfahren hätte. Günstig ist es, wenn zufällig das Gespräch der NomadInnen auf ein bestimmtes Thema kommt und man sich dann gegebenenfalls am Gespräch beteiligt.  
Zuhören heißt auch Informationen zu bekommen, die jemand im gewöhnlichen Alltag erzählt innerhalb des sozialen Raumes mit einem gewissen Authentizitätsgehalt. Zu bedenken ist auch, dass ich nur Geschehnisse weitergebe, die ich gesehen oder gehört habe. Durch meine Anwesenheit beeinflusse ich immer die entsprechende Situation. Inwieweit es sich dadurch um eine „natürliche“ Situation aus dem Alltag handelt wäre zu diskutieren. Durch die Länge meiner Aufenthalte ergibt sich eine gewisse Gewöhnung an meine Person und die Anwesenheit der Ethnologin wird zum Alltagszustand. Es geschieht häufig, dass ich in das Gespräch involviert werde, zu einer Thematik, die die Kel Ahnet bestimmen.

Reflexion

Bei der Feldforschung habe ich versucht, meine Situation zu reflektieren und meine Sichtweise auf die erhaltenen Informationen zu prüfen.
Ein Beispiel:
Nuna: Ekerki ist eine schöne Frau. 

Schon ergibt sich bei mir ein Bild einer Frau, die schlank, zierlich, groß und jung ist. Hier zum Beispiel ist die vorgefasste Sichtweise zu relativieren und möglichst der lokalen Anschauung anzupassen, beziehungsweise zu hinterfragen, was oder wer aus der Sicht der Imuhar schön ist. Es kann sich nämlich aus der Sicht der Imuhar um eine dicke, kleine, selbstbewusste Frau handeln, die als schön erachtet wird.  Trotz den Bemühungen, sich ständig seine Situation und die der Anderen vor Augen zu führen und den sozialen Kontext zu berücksichtigen, bleiben alle Ergebnisse hier subjektiv, da auch die Kel Ahnet subjektiv auf mich reagieren und vielleicht eine andere Persönlichkeit, mit anderem Geschlecht oder anderer Generations-zugehörigkeit ein divergierendes Ergebnis erhalten würde.   Dem Wahrheitsgehalt einer Aussage und der Interpretation des Geschehenen habe ich versucht, mit einem gewissen Abstand entgegenzutreten und alles Gesagte und Geschehene zu überdenken. Insbesondere habe ich versucht, den sozialen Raum, in dem die Aussage getätigt wurde, mit einzubeziehen. Sagt eine junge Ehefrau mir etwas in der Gegenwart ihres Schwiegervaters, der mithört, ist die Aussage durchaus als eine idealisierte Darstellung zu betrachten, da eine Schwiegertochter in Gegenwart ihres Schwiegervaters zum Beispiel keine Schwächen zugeben würde. Deswegen wird in dieser Studie auf die genaue Darstellung des sozialen Raumes Wert gelegt.  

Vertrauen und Verrat

Als Ethnologin gerät man leicht in das Dilemma zu überlegen, wie weit man gewisse Informationen der Öffentlichkeit zugänglich macht oder nicht. In meiner Forschung zu Arbeitsprozessen (2006; 2008) hat die Veröffentlichung von Arbeitsabläufen im Nomadismus neue Erkenntnisse vermittelt (Scholz 2009). Soweit mir bewusst ist, wurde dabei nicht das Vertrauen, das die NomadInnen in mich haben, verletzt. Im neuen Forschungsschwerpunkt, der Linguistischen Anthropologie, ist die Situation etwas schwieriger. So wie die NomadInnen mit ihren vorhandenen Informationen haushalten, versuche ich hier, keinen Vertrauensbruch gegenüber den NomadInnen zu begehen. Eine der Maßnahmen dagegen ist die Anonymisierung der Personen, indem ich ihnen neue Namen zuordne, die Personennamen von Imascheren aus dem Niger sind. Darüber hinaus gebe ich nicht das genaue Datum preis, wann welches Gespräch beziehungsweise Ereignis erfolgte. Aber mir ist bewusst, dass ich mich hier auf eine Gratwanderung begebe.

Abu-Lughod (1999: XXVI) beschreibt in ihrem Vorwort, dass die Übersetzung ihres Buches ins Arabische die Erforschten veranlasste, ihr Buch zu verstecken, damit manches Gesagte, das veröffentlicht wurde nicht der Jugend zugänglich ist. Eine Reaktion der Kel Ahnet zu meinem Buch über ihre Arbeitsprozesse war, ob ich denn über Arbeit schreiben kann, wenn ich doch keinen dicken Ast mit einem Axthieb, so wie die Nomadinnen, durchhacken kann.
So wie im Forschungsfeld von Abu-Lughod (ebd.) möchten auch NomadInnen am liebsten in ihrer schönsten Kleidung fotografiert werden. Es wird gewünscht, dass man nicht lächelt und am besten verschleiert auf Fotos erscheint. Dadurch dass ich mich bemühe, Alltag darzustellen (sowohl im Text wie auf Abbildungen), gerate ich in ein gewisses Dilemma zwischen gestellten gewünschten Abbildungen und Impressionen aus dem Alltagsleben zu entscheiden. Der Wunsch, sich von seiner besten Seite zu zeigen, ist gut nachvollziehbar, als menschlich zu bezeichnen und wohl in jeder Gesellschaft zu finden – das gilt für Abbildungen sowie für Gesprochenes.

Ausschnitte aus dem Buch : Sprechkunst der Tuareg

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