Sechs Dimensionen der nomadischen Arbeitswelt

1. Dimension: Elem – Körper
2. Dimension: Aselsu - Textile Hülle
3. Dimension: Ehan - Zelt
4. Dimension: Erahar - Grüne Adern
5. Dimension: Tenere - Der Ort weit draußen
6. Dimension: Esuf - Universum

Einleitung



Der wirtschaftliche Handlungsraum wird hier vom unmittelbaren bis hin zum unendlichen Raum untersucht. In sechs Dimensionen erfolgt die Besprechung der „Produktionsstätte Sahara“. Arbeitsleistung erfordert physische und psychische Kraft, sodass körperlicher Einsatz im Handlungsprozess Arbeit spürbar werden lässt. Der Körper stellt das unmittelbare Arbeitsumfeld dar. Die textile Hülle des Körpers als zweite Dimension beeinflusst den Arbeitseinsatz, wobei die Körperhaut den Grenzraum bildet. Das Zelt als Produktions- und Konsumptionsstätte symbolisiert die Familie und vor allem Frauen- und Kinderarbeit ist unmittelbar an das Zelt gebunden. Das direkte Umfeld um das Zelt ist die nutzbare Fläche für die Viehwirtschaft. Eine „grüne Ader“ im Körper der Sahara, die den direkten Arbeitsplatz der Imuhar-NomadInnen bildet. Auch die Handelsplätze, die Oasen, sind in dem Zusammenhang als „grüne Adern“ zu sehen. Die Tenere (der Ort weit draußen) grenzt diese „Inseln“ ab. Diese gilt es zu durchqueren, um zu einer neuen nutzbaren Fläche zu gelangen. Gleitende Übergänge ergeben sich von der Tenere zum unendlichen Raum des Universums, der Lebensraum der Kel Esuf (der Leute der Einsamkeit). Für das tatsächliche Handeln ist die Furcht vor übernatürlichen Sanktionen ausschlaggebend.  


Erste Dimension: Elem - Körper



Physische Arbeit in der Sahara ist in erster Linie anstrengend. Mit körperlichem Kräfteeinsatz ist zu haushalten, um sich nicht zu verausgaben. Brennholz hacken und weiten Strecken laufen, die beim Viehhüten anfallen, sind nur zwei der strapaziösen Tätigkeiten. Die Einteilung der Kraftreserven ist strategisches Mittel zur effizienten Arbeit.
Kontinuierliches Arbeiten ist eines der Prinzipien der Imuhar-NomadInnen.  Das Sammeln von Brennholz erfolgt täglich und nicht an bestimmten Tag. Den körperlichen Krafteinsatz kann man als permanent gleich einstufen. Ruhetage gibt es nur im Krankheitsfall. Die täglichen Arbeitsabläufe ähneln einander und sind wenig saisonal beeinflusst - im Gegensatz zu einer bäuerlichen Wirtschaft, die zum Beispiel zu Erntezeiten maximalen körperlichen Einsatz erfordert.
Die körperliche Erfahrung der Arbeit ist durch eine hohe Verletzungsgefahr geprägt. Dornen, splitterndes Holz, ausschlagendes und beißendes Vieh sind nur einige der Gefahrenquellen. Wehleidigkeit ist in der Gesellschaft der Imuhar dabei kaum zu erkennen. Toto, ein vierjähriger Bub, dessen tägliche Aufgabe das Einfangen von kleinen Zicklein darstellt, jagt den Tieren barfuß durch das Gestrüpp hinterher. Einmal die Woche lässt er sich meist von seinem Onkel, die Dornen aus seinen Fußsohlen entfernen. Schmerzabfuhr durch Weinen ist nicht üblich und gilt sowohl bei Frauen als auch bei Männern als Schwäche. Achtsamkeit und Konzentration bei der Ausführung der Arbeit ist extrem wichtig, da bei gröberen Verletzungen lange Wege zurückgelegt werden müssen, um einen Arzt beziehungsweise ein Krankenhaus zu erreichen. Präziser Einsatz des Körpers und gute Körperbeherrschung sind Voraussetzung für die hochspezialisierte Tätigkeit in der nomadischen Wirtschaft. Durchtrainierte Körper findet man bei Frauen wie bei Männern. Der Körper dient als strapazfähiges und präzises Werkzeug.

Im Krankheitsfall können Familienmitglieder beziehungsweise Verwandte kurzfristig einspringen. Krankheit an sich wird als Resultat von schlechten Handlungen oder Gedanken  gesehen (Vgl. RASMUSSEN 1989). Durchaus wird eine Krankheit bei Überbelastung zur Rekreation genutzt. Tenede (Hitze/Fieber) ist meist ein solcher Krankheitsfall. Die Person klagt über Schmerzen im gesamten Körper wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und Gliederschmerzen. Sie liegt im Zelt, Nachbarn kommen sie besuchen, ihre Arbeit wird übernommen. Nach wenigen Tagen tritt meist eine Genesung ein. Das entspricht einer sozial anerkannten Form des Auftankens.

Bei vorübergehendem Totalausfall der Arbeitskraft eines Familienmitgliedes, sei es durch fortgeschrittene Schwangerschaft, Verletzung, Krankheit, erfolgt eine Umschichtung ihrer Tätigkeiten auf andere Familienmitglieder.
Dies ist nur eine begrenzte Zeit möglich, da eine Zelteinheit ohne die Arbeitskraft „Ehemann“, „Ehefrau“ oder auch „Kinder“ auf Dauer nicht fähig ist ihre Subsistenz zu sichern. Um die Arbeitskraft einer Person sicherzustellen werden Skarifikationen durchgeführt, sogenannte Tiggah (Vgl. FOUCAULD/CALASSANTI-MOTYLINSKI 1984:88).
Bei einem circa dreißigjährigen Nomaden sah ich drei kleine parallele Einschnitte an seinem Fußgelenk. Als ich ihn fragte, warum er das gemacht hat, meinte er, dass er dadurch gesund bleibt. Kindern, die häufig an Augenentzündung erkranken, erhalten zur Heilung drei kleine Schnitte neben dem Auge, wobei Mädchen drei horizontale Schnitte und Buben drei vertikale Schnitte bekommen. Durch körperliche Geschicklichkeit in Verbindung mit Intelligenz (Taitte) kann man den Status einer Spezialistin oder eines Spezialisten in einem Arbeitsfeld erhalten. Arbeit als körperlicher Akt verlangt Präzision und Konzentration und ist kontinuierlich zu erbringen.


Zweite Dimension: Aselsu - Textile Hülle



Die Verhüllung des Körpers unterliegt bei Imuhar sozialen und kulturellen Normen. Der gesamte Körper ist verhüllt, und öffentliche Nacktheit ist nur bei Kleinkindern geduldet. Alltagskleidung, vorwiegend aus Baumwolle, ist zugleich auch Arbeitskleidung, die Tag und Nacht getragen wird. Frauen streifen bei der Arbeit über ein langes buntes Kleid (Roba) ein ca. 2x5m großes Wickelgewand (Tesirnest) an, das auch den Kopf bedeckt. Ältere Frauen besitzen einen Schleier (Aleshu) zum Bedecken der Kopfhaare. Männer tragen meist über einem T-Shirt ein langes Baumwollhemd mit einer weiten langen Hose (Ekerbey) und ihre turbanähnliche Kopfbedeckung (Tagelmust/Chech) wird auch während der Arbeit nur selten abgelegt. Für die kalten Wintermonate besitzen einige Kel Ahnet-Männer eine Jacke, während Frauen Winter wie Sommers die gleiche Bekleidung tragen. Zur Jacke des Ehemannes wird nur in extrem seltenen Fällen gegriffen und nur dann, wenn kein Besuch im Lager ist. Kleinkinder sind mit einem T-Shirt oder Hemd bekleidet. Buben ziehen Hemd und Hose an, wobei Mädchen darüber noch einen Rock tragen. Mit Einsetzen der ersten Periode bekommt ein Mädchen zum ersten Mal einen Tesirnest zum Anziehen.

Der Tesirnest ist, bestätigt meine Erfahrung, als Arbeitskleidung für Frauen vielseitig zu verwenden. In mehrere Stufen transformiert er sich von einer Ganzkörperverhüllung zu einem Oberteil, das um den Bauch gewickelt ist und nur wenig den Kopf bedeckt. Um den ganzen Körper gewickelt, wärmt er in den Wintermonaten bei den verschiedenen Tätigkeiten. Bei Holzarbeiten wird der untere Teil des Wickelgewand, halb hoch geknotet, sodass man nicht an den dornenreichen Akazienästen hängen bleibt. Diese beutelähnliche Stufe des Tesirnest wird auch zu Transport von Früchten verwendet, aber es ist auch möglich, mit einer gewissen Technik den gesamten unteren Teil nach oben um den Bauch zu wickeln. Mehr Armfreiheit erreicht man, indem das Gewand über die Schulter gelegt wird. Der obere Teil der Bekleidung kann rückwärts so verknotet werden, dass nur ein scherpenähnliches Stück mit knapper Kopfbedeckung übrig bleibt. Bei dieser Stufe des Gewandes ist fast das gesamte Unterkleid zu sehen. Kleinere Gegenstände wie süße Harzstücke können direkt in das Tuch verknotet werden.
Das Wickeltuch, nach oben auf dem Kopf drapiert, bildet eine weiche Zwischenlage beim Tragen von schweren Holzstücken auf dem Kopf. Sehr praktisch erweist sich der Tesirnest über den Kopf gelegt als Fliegenschutz, während einer kurzen Rast. Der Tesirnest ersetzt Schnupf- und Wischtücher. Kleinkinder werden in den Schoss gelegt und mit dem Tesirnest bedeckt, so dass sie vor Fliegen und der Sonne geschützt sind.
Der Tesirnest ist ein an klimatische und ökologische Bedingungen adaptierbare Arbeitskleidung, die von jeder Nomadin individuell verwendet wird. Das lange Unterkleid wird niemals hochgesteckt. Nur bei Arbeiten auf Akazienbäumen wird es am Saum verknotet oder mit einer Sicherheitsnadel zusammengesteckt.
Innerhalb des Zeltlagers, insbesondere wenn Männer anwesend sind, ist der Tesirnest immer um den gesamten Körper gewickelt, sodass das Unterkleid nicht zu sehen ist.
Männliche Arbeitsbekleidung ist nicht so facettenreich. Lediglich bei Arbeiten auf dornigen Akazienbäumen wird manchmal das untere Stück des langen Hemdes um den Bauch hoch geknotet.

Kel Ahnet-Nomadinnen sind unter anderem durch ihre Kinder und ihr Vieh an den Standort Wüste gebunden und daher abhängig, von dem, das die Männer für sie in den Oasen einkaufen. Männer betreiben den Handel auf lokalen Märken und erwerben dort die benötigte Kleidung.
Eine Ehefrau sagte zu mir:

Bakai (ihr Mann) hat mir diesen Tesirnest mitgebracht. Ich hätte ja lieber einen dunkelroten gehabt wie Tellit. Henna, zum Färben der Hände, hat er wieder vergessen mit zu bringen. Aber ich habe eine Verwandte in der Stadt, die gibt Bakai manchmal Sachen für uns mit. Sie weiß, was wir Frauen hier in der Wüste wollen.

Über die lokalen Märkte haben Kel Ahnet Zugang zu westlicher Kleidung, die geschätzt wird, jedoch nicht den gleichen kulturellen Stellenwert wie der traditionelle Tesirnest erreicht. Der Tesirnest symbolisiert die Mitgliedschaft in einer bestimmten sozialen Gruppe. Er stellt ein Symbol der Eigendefinition dar.


Dritte Dimension: Ehan - Zelt



„La tente est le monde rassurant de „l`intérieur“, abri matériel autant que parental, sozial et mental, auquel l`individu s`identifie“(CLAUDOT-HAWAD 2006b:63).

Das Zelt ist zentraler Lebensraum der Frau, in dem der Mann nur Gast zu sein scheint. Das Zelt wird benannt nach dem Namen der Ehefrau, und sie ist auch die „Besitzerin“ des Zeltes. Lässt sich ein Mann von seiner Frau scheiden, verliert er nicht nur die Ehefrau, sondern auch das Zelt als seine Unterkunft. Er ist dann gezwungen zu Verwandten zu ziehen. Das Zelt ist der Mittelpunkt der Arbeitswelt der Nomadin. Sie ist direkt gebunden, während der Nomade bei seiner Arbeit mit den Dromedaren oft tagelang ohne Zelt unterwegs ist.

Vier Zeltarten findet man bei den Kel Ahnet.

Die rechte Seite des Zeltes wird desr Frau zugeordnet, hier befindet sich im vorderen Teil die Küche. Alle Kochutensilien bewahrt man hier auf, die Mahlzeiten werden zubereitet und die Milch wird hier gelagert. Meist befindet sich auch im hinteren Teil der rechten Seite ihr Sattel (Tachawit)  auf dem tagsüber die Schlafdecken verstaut sind.  Die linke Seite im Zelt ist die des Mannes. Hier lagert er seinen Sattel (Tarik) und seine Sachen, die er für die Arbeit mit den Dromedaren benötigt. Kinder schlafen mit einer Decke direkt auf dem Sand in der rechten Hälfte des Zeltes, während die Eheleute links schlafen. Der Kopf ist dabei Richtung Süden gewandt. Das ganze Zelt ist mit der Öffnung nach Süden orientiert und steht immer offen (Vgl. FOLEY 1995(1930):13).

Anja:     Warum dreht ihr die Öffnung des Zelts nicht nach Norden, da habt ihr doch mehr Schatten, wenn es heiß ist?
Nuna:     Aus dem Norden kommt nichts Gutes. Nur kalter Wind und die Kel Esuf (die Leute der Einsamkeit).

Dreh- und Angelpunkt der Lebenswelt Zelt ist die kurz davor liegende Feuerstelle. Darauf wird Tee gekocht, darin backt man das Brot und die Milch wird darauf angewärmt. Das Feuer dient nicht nur als Kochstelle, sondern auch als Beleuchtung, als Heizung und  als  Besucherempfangsplatz. Dabei sitzt der Mann auf der linken Seite beim Zelt und seine Frau rechts von ihm. Männliche Besucher werden links neben dem Mann plaziert, während weibliche Gäste sich neben die Frau setzen.
Das Feuer kann sprechen. Wird sehr gutes großes rotes Akazienholz verwendet, handelt es sich um einen „hohen“ Gast. Kleine Holzzweige verwendet man, wenn es ein „alltäglicher“ Gast ist. Wird immer wieder Holz nachgelegt, heißt das, der Gast möge bleiben. Legt man kein Holz mehr nach, ist das eine Aufforderung an den Gast zu gehen.

Die Feuerstelle ist respektvoll zu behandeln. Einmal saß ich mit der Besitzerin des Zeltes beim Feuer und stocherte gedankenverloren mit einem Stock im Feuer herum. Sie meinte zu mir, ich solle dies unterlasse: „Jeder Stoß, den du in das Feuer macht, verursacht Schmerz bei meiner Herde.“


Vierte Dimension: Erahar - Grüne Adern



Lebensadern stellen die bewachsenen Täler dar. Diese nahe gelegenen Zonen sind  die eigentlichen Produktionsflächen der NomadInnen, in der sich Weiden für das Vieh, der Zeltplatz, die Wasserstellen und Bäume als die „Brennstofflieferanten“ befinden. Es ist der Arbeitsraum der Kel Ahnet. Nur Dank dieser grünen Täler ist ein Überleben in der Sahara erst möglich. In den Tälern findet Produktion und Konsumption statt und die Kel Ahnet wissen gerade diese, im ersten Moment vielleicht als karg erscheinenden Plätze, sehr gut zu nutzen. Frauen sind bei ihrem Bewegungsspielraum durch die Kleinviehzucht und ihre Kinder enger an das Zelt und Tal gebunden. Mit den Eseln gehen sie  zu der Wasserstelle zum Wäschewaschen und Wasserholen, wenn diese in der Umgebung ist. Wenn die Wasserstellen sich weiter weg befinden, holen die Männer mit Dromedaren das Wasser. Frauen gehen Holzsammeln oder manchmal mit ihrer Herde in die unmittelbare Umgebung. Nur Männer gehen darüber hinaus, zum Beispiel zu den Fernweiden der Dromedare. Durch den eingeschränkte Aktionsradius der Frauen vermitteln sie Stabilität, dagegen die Männer die Fluktuation (Vgl. auch CLAUDOT-HAWAD 2006a:64).

Die bewachsenen Täler erzeugen ein Gefühl der Sicherheit. Erst wenn man diese verlässt und durch die Sand- und Steinlandschaft der Tenere zieht, wird man sich der Isolation bewusst. Die isolierte Lage der nutzbaren Produktionsfläche erzeugt eine Emotion von „drinnen sein“ und „draußen sein“. Extrem formuliert, repräsentiert das einen Kontrast von Leben, das sich in den Täler abspielt, und Tod, der einen jederzeit erwarten kann wenn man „hinaus“ geht. Dies ist vergleichbar mit dem Konzept des „intérieur“ und des „extérieur“ von Helene CLAUDOT-HAWAD (1996:7), in dem „intérieur“ für das Häusliche, das Gezähmte und die Identität und „extérieur“ für das Fremde, das Sonderbare und das Gefahrvolle steht.


Fünfte Dimension: Tenere - Der Ort weit draußen



Überschreitet man die Grenzen der „grünen Adern“ erreicht man das Nichts.
Über weite Flächen gleicht die Sahara einer Mondlandschaft. Sehr formenreich, aber leblos erscheint die Landschaft. Alte Vulkane, Hochplateaus, Ebenen mit groben Schotter, labyrinthartige Sandsteinformationen und endlos erscheinende Sandflächen  sind nur einige der geomorphologischen Ausformungen der Sahara (Siehe dazu BUSCHE 1998). Für den Nomaden ist das der Raum, den es zu durchqueren gilt zwischen zwei Tälern: ein Transitraum, der Gefahr vermittelt, da kein Wasser und keine Nahrung zu finden sind. Théodore MONOD vergleicht die Tenere mit einem Ozean:
„Für den Seereisenden bedeutet das Festland das Gleiche wie die Wasserstelle für den Saharareisenden: einen zumindest zeitweiligen Nothafen, eine Zwischenstation, einen sicheren Ort, eine vorübergehende Befreiung von allen Sorgen. Wenn der Ort bewohnt ist, bedeutet das nach den langen Entbehrungen in der Wüste und den Strapazen der Reise Erholung und Überfluss, nach der Askese nun die Schlemmerei“ (MONOD 2004:20).

Für eine Viehwirtschaft ist die Tenere eine nicht nutzbare feindliche Fläche, deren Durchquerung mit der Herde Gefahren birgt.

Anja:     Wo sind denn dieses Jahr die Eseln von Zeinaba?
Kela:     Im Sommer als wir zum Tal In Ziza unterwegs waren, sind alle vier an Erschöpfung und     Durst gestorben. Auch der Hund von Fatma ist verdurstet. Nur die Eseln von Fatma haben es geschafft. Als wir endlich ankamen, waren meine Ziegen sehr mager und völlig erschöpft. Ich reise nicht gerne durch die Tenere.


Sechste Dimension: Esuf - Universum



„En fait, loin d`être un monde négatif qui serait toujours opposé à un monde positif, celui de la civilisation, l`essuf est concu comme un élément nécessaire et incontournable de la structure de l`univers“(CLAUDOT-HAWAD 1996:7).

In der Kosmologie der Imuhar existiert eine Welt der Kel Esuf (die Leute der Einsamkeit). Geister/Ahnen die in einer Parallelwelt leben und wie die NomadInnen haben sie Vieh. Sie können die Lebenden beobachten, aber die Imuhar wiederum können sie nicht sehen.

Zeinaba wusch am Brunnen ihre Kleidung und legte sie zum Trocknen auf die Büsche aus. Kurze Zeit später näherte sich eine kleine Windhose (kleiner Tornado) und wirbelte die Kleidung von den Büschen. Einhellig meinten alle Anwesende, dass das nun das „Karharbat n Kel Esuf“, der Wagen der Geister, gewesen ist, der bei der Vorbeifahrt die Kleidung herum gewirbelt hätte.

Die Geister sind die toten Verwandten. Wenn man ihren Namen ausspricht, kommen sie und davor fürchtet man sich. Daher ist es auch schwer, Informationen über die Kel Esuf zu erhalten. Während eines Besuchs bei Nuna schauten wir alte Fotos an, auf denen einige Gesichter ausgekratzt waren. Bei Nachfrage meinte sie, dass diese Menschen tot sind und es daher nicht gut ist, wenn man sie auf den Bildern sieht.
Die Kel Esuf betreiben aber auch einigen Schabernack, wie mit der Kleidung am Brunnen. Als ich einmal mit dem Fuß bei einem Mäuseloch im Sand absackte, sagte mein Begleiter gleich: „ Uksad (Achtung), Kel Esuf!“.
Die Kel Esuf können aber auch Gutes tun. So werden beim Spiel „Tamkelkel“ die Kel Esuf zu Hilfe gerufen. Drei Dinge wurden bestimmt (kleine Kiste, Dose und Glas). Ich sollte auf einen Gegenstand zeigen, während Bakai nicht hinschaute, um anschliessend zu raten, was ich gewählt hatte. Danach erriet er jedes Mal den Gegenstand auf den ich gezeigt hatte. Einhellig meinten meine Begleiter, dass Bakai die Kel Esuf gerufen hatte und diese ihm jedesmal sagten, worauf ich gezeigt hätte.
Die Kel Esuf sind aber auch gefürchtet, weil sie Krankheiten auslösen können. Dagegen schützt man sich mit Terewut. Diese Amulette sind meist flache Lederbeutel, in denen ein magischer Spruch eingenäht wird, der verdeckt als Anhänger getragen wird. Besonders gefürchtet ist, dass die Kel Esuf durch den Mund in den Körper gelangen und dort Schlechtes anrichten. So wird, bevor man anfängt zu essen, das Wort „Bismillah“ (Im Namen Allahs, arabisch) ausgesprochen, um den Mund zu reinigen, sodass beim Öffnen des Mundes beim Essen nicht auch die Kel Esuf hinein können.
Die Furcht vor übernatürliche Sanktionen der Kel Esuf, die das Universum beherrschen, ist groß insbesondere bei schlechter Arbeitsmoral. Sie können bewirken, dass man sich Verletzungen beim Arbeiten zuzieht. Somit beeinflusst auch das Universum den wirtschaftlichen Handlungsprozess.

Auszug aus NOMADEN DER SAHARA

 

SITEMAP

STARTSEITE
Home

 


VORTRÄGE
Workshop 2013

Workshop 2015

KONTAKT
IMPRESSUM

 

 

IMUHAR (TUAREG)
Einführung


 

Sahara

Ernährung

Zelte (Mobile Wohnform)

Mode (Keidung,Frisur,..)

Schmuck

Zeiten

Glauben/Geister

Arbeit

 

Bezeichnungen

Etymologie TUAREG

Etymologie IMUHAR


Ursprung

Geschichte1/Besiedlung

Geschichte2/ Kolonie
Geschichte3/ Staat

 

MYTHOS Noble
MYTHOS Ahal
MYTHOS Vorfahren

 

Soziales System

Kel Ulli/Ihaggaren
Politisches System
Generationen


PostnomadInnen
Rebellion/Aufstand

Sprache

Schrift
Rätsel
Sprichwörter
Geheimsprache Tenet

Geheimsprache Tagenegat

Musik /Gedichte,klassisch
Neue Musik
Neue Musik Bands
Aktuelle Musik Konzerte


 

NOMADINNEN
Einführung



Einführung nomad. Arbeit

Nomaden Frauen Arbeit
Nomaden Kinder Arbeit
Nomaden Männer Arbeit
Dimensionen der Arbeit
Arbeitskonzept

Kamele
-Kamelsättel
Ziegen
Schafe
Esel
Hunde
 

Standortwahl
Entscheidungsprozesse
Standortwechsel

Nomadische Netzwerke
 

Nomadismus

Nomadismus/Nomadologie
Moderne Nomaden+ Globalisierung
PostnomadInnen
Zukunft Nomadentum
 

FORSCHUNG
Übersicht



Linguistische
Anthropologie

Ethnographie des
Sprechens

Sprechgenres
Feldforschung

PUBLIKATIONEN
Übersicht



BÜCHER
Sprechkunst der Tuareg
Tuareg Society within a Globalized World
Nomaden der Sahara

ARTIKEL
SONSTIGES

TAMAHAQ-WÖRTERBUCH
Einführung



TAMAHAQ-DEUTSCH
A-Z
Fragen
Tiere
Ausrufe
Zeiten
Redewendungen

DEUTSCH-TAMAHAQ
A-Z
Verben
Haushalt/Kleidung
Ernährung
Menschen/Verwandtschaft
Zahlen
Masse

GRAMMATIK
Hauptwörter
Fürwörter
Verhältniswörter
Verben
Eigenschaftsverben
Bindewörter
Diverses zur Grammatik
 

SCHRIFT
Tifinar (Tifinagh)