NEUE MUSIK 

Junge Männer der "Tuareg",die auch Ischumar  (Engl.: Ishumar/Fr.: Ishoumar) genannt werden, vor allem aus Mali, die im arabischen Exil in Algerien und Libyen lebten, griffen seit Ende der 1970er Jahren zur Gitarre und versuchten mit ihren Liedern ihren Protest gegen die politische und soziale Situation kund zu tuen.

Diese Musik wurde die Kultmusik des „Tuareg“-Aufstands in den 1990er Jahren. Dieser Musikstil hat schnell die westliche Musik, die klassische Musik der „Tuareg“ und westafrikanische Musik bei der Tuareg Gesellschaft verdrängt. Während der Aufstand nicht erfolgreich war, wurde die Musiker mittlerweile kommerziell international erfolgreich. Heutzutage sind moderne Tuareg-Musikbands dabei, ihren Platz im internationalen „World music“ Markt zu finden.

Bezeichnung
Mittlerweile habe  sich diverse Bezeichnungen dieser neuen Musik entwickelt: Alguitar (Al-Guitara) Musik, Ischumar-Musik, Sahara Blues/Rock oder Asuf (Assouf / Einsamkeit).

Musikstil
Eigener Musikstil, der u.a. von englischer Rock-Musik (z. B. Jimi Hendrix, Dire Straits, Santana und Bob Dylan), von arabischer Oud-Musik und von der eigenen klassischen Imzad-Musik beeinflusst wurde.

Liedtexte
Die Lieder werden ausschliesslich in Tamascheq gesungen.  Die Musiker singen über ihr Land, die Natur, die Liebe, das Exil und den Kampf. Es handelt sich um Texte mit viel Nostalgie, die aus Metaphern, Andeutungen und Bilder bestehen, deren Entzifferung intime Kenntnisse voraussetzt.

Interpreten
Zunächst junge Männer (Ischumar) aus Mali, die im Exil in Algerien und Libyen lebten. Mittlerweile vorwiegend Männer aus Nord Mali und Süd Niger, selten aus Süd Algerien.

 

ENTSTEHUNGSGESCHICHTE

Klassische Musik bei den „Tuareg“ wird hauptsächlich von Frauen gespielt und interpretiert, sei es Imzad oder auch Tende Musik. Die neue Musik wird von (jungen) Männern auf modernen E-Gitarren und Schlagzeugen gespielt. Frauen sind nun nur noch als Begleitung vertreten.

Exil
Die grosse Saheldürren in den 1970er (Höhepunkt 1973/74)und 1980er trieben zahlreiche Imuschar Nomaden aus Nord Mali in die Flucht nach Süd Libyen und Süd Algerien (Klute 2013: 66-67). In der Zeit wurde von den jungen Menschen im Exil neben der eigenen Musik, auch englische Rock/Blues Musik, westafrikanische Musik und arabische Oud-Musik gehört. Das inspirierte die jungen Menschen selbst Musik zu machen.

(Neo) Tende (Iswat/Tesawit) Musik
Die klassische Musik so wie Tende (Iswat/Tesawit) Musik wird hauptsächlich von Frauen interpretiert. In Süd Algerien wurde Ende der 1980er Jahre zunächst Lalla zum Star im Migrantenmilieu, in dem sie die Tende (Iswat/Tesawit)-Musik auf eine neue Art interpretierte. Lalla stammte aus dem Adrar (Nord Mali) und lebte in Exil in Süd Algerien. Sie war Vorsingerin und ein gemischter Chor sang den Refrain. Schon diese Musik wurde mit Musikkassetten im gesamten Saharagebiet verbreitet (Klute 2013: 67).

Taherdant-Musik
Neben der Musik der Frauen gab es auch bezahlte Musik der Enaden (Handwerker) auf der Taherdant, der traditionellen 3 saitigen Gitarre. Hier konnte man zum Beispiel Loblieder für  die Angebetete bestellen.

Zahuten-Feste
Die neue Musik wurde zunächst auf Zahuten-feste dargeboten. Diese Zahuten Feste entwickelten sich zu einer Art Subkultur, die oft von der algerischen Polizei aufgelöst wurden.  (Klute 2013: 67)

Alguitar (al-Guitara) Stil
Die ersten Lieder, der zunächst  Al-Guitara Stil genannt wurde, entstanden 1978 ausschliesslich von nordmalischen Migranten im Exil.
 

Gründer
Ibrahim ag Alkhabib gilt als Begründer der al-Guitara Musik Genre. (Klute 2013: 71). Er singt und spielt zunächst auf einer Gitarre, gebaut aus einem alten Karnister. Dann stösst Intayyadan ag Eblel dazu und organisierte Akustik-Gitarren. Sie gründen die Gruppe Tinariwen / Kel Tinariwen. Nach und nach kamen weitere Mitglieder dazu.

Sie sangen dann in Libyen auf Festen wie Hochzeite, Taufen und Tanzabenden. Mitschnitte ihrer Musik wurden auf Kassetten von jungen Männern in der gesamten Sahara verteilt und dadurch immer populärer. Immer mehr junge Männer begannen ebenfalls in dem Musikstil zu spielen und zu singen.

Inhalt der Liedtexte
Die jungen Exilanten singen u.a. über ihr Land, ihre Kultur und ihre soziale Situation zwischen zwei Ländern. Die Texte werden immer politischer, auch durch die erschütternden Erfahrungen in Al-Qaddafis Islamischen Legion zum Beispiel im Tschad (1987). (Klute 2013: 81). Sie appellieren auch für eine gemeinsame Nation aller „Tuareg“  und rufen zum Wiederstand auf, jedoch nicht direkt.

Kennzeichen der Tuaregpoesie 
Komposition aus Metaphern, Andeutungen und Bilder, deren Entzifferung intime Kenntnisse voraussetzt (Klute 2013:120).

Tangalt – Verschlüsselte Sprechkunst
In der Gesellschaft der Imuhar existiert die Tendenz Botschaft zu verschlüsseln (Fischer 2012; Klute 2013). Eine Art des verschleierten Sprechens wird Tangalt genannt. So wird das Sprechen über Krieg, Gewalt, Sterben und Tod „tangalisiert“ (Klute 2013: 58; Fischer 2012) Gerade die Lieder der Exilanten zum Aufstand „tangalisieren“ so sehr, dass sie nicht nur Aussenstehenden, sondern auch vielen Tuareg in die Alltagssprache übersetzt werden müssen. (Klute 2013: 59)

Eine Nation der Tuareg wird in den Liedern oft durch Verwandtschaftstermini verschlüsselt (Klute 2013:127). Als Schwestern (Schetma) werden die daheimgebliebenen Verwandten in Nord Mali bezeichnet (Klute 2013:134). Die Gruppe der Exilanten wird als Freunde  (Imidiwen) bezeichnet (Klute 2013: 137).

Zweck
Auf Anfang handelte es sich durchaus um politische Propaganda für einen Aufstand der „Tuareg“ mit dem Traum von einer gemeinsamen Nation.

Musik des Aufstands
Um 1990 kamen viele junge Männer aus ihrem Exil von Algerien und Libyen zurück nach Nord Mali.  1990 begann auch ein gewaltsamer Aufstand von zunächst nur sehr wenigen jungen Exilanten. Schon bald kam es zu Abspaltungen entlang der Grenzen traditioneller Allianzen und Feindschaftsbeziehungen (Klute 2013:110).

Es entstanden Lieder die mit Hilfe von Verwandtschaftsbezeichnung eine Nation beschwören um den Bruderkrieg rasch zu beenden (Klute 2013:137). Aufrufe zur Einheit scheiteren 1991 (Klute 2013:111). 1994 begannen sogar militärische Kämpfe untereinander (Klute 2013:112). Es entstand eine grosse Enttäuschung innerhalb der jungen Exilanten  (Klute 2013:115)

Verbreitung durch Musikkassette
Zwei Gruppen bilden sich: nämlich die (schon lange) im Exil Lebende, die verstehen, wollen Botschaften mit Hilfe von Liedern den in der Wüste Lebenden, Nicht-Verstehenden (Klute 2013:200). Die Verbreitung geschieht durch Musikkassetten. Die Kassetten sind höchst demokratisch, billig, leicht zu handhaben und zu löschen, anders als Schallplatten oder CDs. Die Verbreitung ist jedoch nicht kontrollierbar. Die Musikkassetten wurden gratis verteilt. Dier Verkauf war zunächst verpönt und wurde als unmoralisch angesehen (Klute 2013:212). Die Kassetten wurden unter der Hand gehandelt bis und während des Aufstandes  (Klute 2013:212).
Den Menschen in der nordmalischen Wüste hat die Musik gefallen, auch wenn sie den Inhalt erst später verstanden (Klute 2013:203)

Kommerzialisierung
Zunächst wurde die Musik im städtischen Umfeld populär und sogar bei Hochzeiten verwendet. Zahlreiche junge Männer begannen Musik in dem Stil zu machen. Die Dichter, die zum Kampf aufriefen sind heute Artisten geworden, die von ihrer Kunst leben und sie deshalb vermarkten (Klute 2013:213). So wurden nun Gagen und Eintritt für Konzerte verlangt.
Nun wurde die nicht immer klare Urheberschaft  der Lieder wichtiger und nicht mehr der gemeinsame Kampf (Klute 2013:213).
Von dieser Musik begeisterte Bands aus Europa und USA förderten einzelne Tuareg Bands und organisierten internationale Konzertauftritte.

Die Musiker träumen heutzutage nicht mehr von einer gemeinsamer Nation, sondern vom Erfolg auf dem internationalen „World-Music“ Markt (Klute 2013:213).

 

Klute Georg 2013: Tuareg-Aufstand in der Wüste. Rüdiger Köppe Verlag. Köln.

Mehr Informationen auch in:

Belalimat, Nadia 2010: The Ishumar Guitar: Emergence, Circulation and Evolution from Diasporic Performances to the World Scene. In Fischer, Anja/Kohl Ines: Tuareg Society within a Globalized World. Tauris. London. S. 155-170.

 
 
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