KLASSISCHE MUSIK UND GEDICHTE IN DER SAHARA

Die traditionellen Lieder der Imuhar (Tuareg) Nomadinnen erhalten instrumentelle Begleitung zum Beispiel durch die Imzad (Imzad).

IMZAD (EINSAITIGE VIOLINE)
Der Korpus besteht aus einer halben Kalebasse mit Lederbespannung und als Hals wird ein Holzstock verwendet. Der Bogen ist mit Rosshaar bespannt. Die Imzad wird nur von Frauen gespielt und nicht jede Frau kann Imzad spielen. Dazu singen Frauen oder Männer. Die Reihenfolge der Stücke ist nicht festgelegt und hängt von den äußeren Umständen beziehungsweise vom Geschmack der InterpretInnen ab.
So wie die Gedichte sind die Texte der Lieder in Versform. Heutzutage können nur noch wenige Frauen in den Ortschaften die Imzad spielen. Nun sind vor allem ältere Imuhar bekannt für ihre Darbietungen mit Imzadbegleitung (siehe Badi 2006: 165f). Bei den Kel Ahnet kann keine Frau mehr Imzad spielen.
(Imzad-Musik ist nun UNESCO-Weltkulturerbe! )

Imzad-Beispiel auf Youtube

Statt der Imzad wird heutzutage die E-Gitarre bevorzugt.  (INFORMATIONEN ZU NEUER (Guitar)-MUSIK  -  HIER)

 


 



TENDE (TROMMEL)
Die Tende (Tinde) der "Tuareg" ist ein lederbespannter großer Holzmörser, wobei der Mörser ein Alltagsgegenstand ist. Die Lederhaut wird mit zwei kräftigen Holzstangen links und rechts, auf denen zwei Personen sitzen, nach unten gespannt. Entweder schlägt eine dieser beiden Frauen die Tommel oder eine dritte Person sitzt davor und schlägt den Rhythmus. Hier existiert ein ganz spezieller Tenderythmus, der dem Gang des Kamels nachempfunden sein soll.  Zur Verbesserung des Klangs wird ein feuchtes Baumwolltuch (Stoff eines alten Tesirnest-Gewands) über die Lederhaut gelegt. Diese wird während des Spielens immer wieder neu befeuchtet.
Diese Trommel wird vorwiegend von Frauen gespielt. Bei reinen Männertreffen schlagen auch Männer die Trommel und singen dazu.

Tende-Beispiel bei youtube




GANGA (Trommel)
Die kleine Handtrommel, genannt Ganga, wird nur ganz selten von Imuhar (Tuareg) Nomadinnen bei Festen gespielt. Es handelt  sich meist um die Schwiegermutter, die bei der Hochzeit auf der Ganga spielt. Dafür wird die grosse Holzmilchschüssel mit einer Ziegenlederhaut bespannt. Auch bei der Ganga gibt es spezielle Rythmen zu denen nicht gesungen wird.

ETTEBEL
Die Ettebel ist ein sehr grosse Trommel, die früher nur geschlagen wurde um zu politischen Versammlungen zu rufen.

GESANG
Bei der Imzad wie bei der Tende gibt es Grundmelodien, wozu verschiedene Texte gesungen werden. Diese Melodien beherrschen fast alle NomadInnen, nur für den Gesang gibt es Expertinnen. Diese Mädchen und Frauen sind bekannt dafür, dass sie eine gute Stimme haben. Meist sind es unverheiratete Frauen, die zur Tende singen. Es ist eher selten, dass verheiratete Frauen zur Tende singen. Meistens singt eine junge unverheiratete Frau.
Es gibt reine Frauentreffen, meist am Nachmittag, wo die Mädchen ihre Gesangs- und Trommelkünste üben können. Vor allem schüchterne Mädchen, die sich nicht trauen, vor einer großen Gruppe zu singen, können hier ihr Talent erproben. Bei dieser Gelegenheit halten sich die verheirateten Frauen in der Nähe auf und kommentieren die jeweiligen Beiträge.

BEGLEITUNG
Die Sängerin wird von den Anwesenden mit einer Art Summton , eine Art langangehaltenen tiefer Hm-Laut. Dazu werden sporadisch laute Triller ausgestossen. Insbesondere dann, wenn ganz besonder elegante Reiter an der Gruppe vorbei geritten sind. Diese sehr schwierigen Triller werden ausschliesslich von Frauen ausgestossen, wobei die Frauen tunlichst darauf achten, dass dabei nicht ihr offener Mund zu sehen ist.
Die Anseswenden begleiten den Gesang mit rythmischem Klatschen, wobei auch das Klatschen eine bestimmte Technik verlangt. Mit ausgestrechten enganliegenden Fingern wird eine Art Hohlkörper beim Zusammenschlagen der Handflächen gebildet, der ein besonders lauten Klang erzeugt. Unterstützt wird dieser Laut traditionell von speziellen Tende-Ringen - ein zylinderförmiger Metall-Ring in dem ein Sandkorn bzw. Samenkorn eingeschlossen ist.

MUSIKPLÄTZE
Nicht nur bei grossen Festen wird Musik gemacht. Unverheiratete Männer und Frauen treffen sich manchmal am Abend und schlagen die Tende, wobei Frauen singen und die Anwesenden dazu summen und klatschen. Dicht gedrängt sitzen dann die jungen Frauen auf der einen und die jungen Männer auf der anderen Seite.



ILLUGAN
Bei großen Festen wie Hochzeiten und Namensgebungstagen sitzen die Frauen tagsüber dicht gedrängt um die Tende und die Männer reiten paarweise an ihnen vorbei. Diese Kamelparade wird Illugan genannt. Dafür bekommen die Kamel eine spezielle dekorative Ausstattung. Auch der Reitstil ist besonders, in dem im leichten Trab der Kopf des Kamels extrem hoch gezogen wird. Beim Illugan wird nur das schönste weisse Kamel, der Ebaydag, präsentiert. Der Reiter hat sein schönstes Gewand an, ist tief verschleiert und in steifer stolzer Haltung mit starrem Blick nach Vorne passiert er die Gruppe von jungen Frauen.

FORTBESTAND
Anders als bei der Imzad verhält es sich mit dem Fortbestand der Tende. Sehr viele NomadInnen beherrschen nach wie vor die Grundmelodien auf der Tende. Schon Kinder üben auf Schüsseln die schwierigen Rhythmen. Manche der Nomadinnen gelten als besonders begabt und können mit kraftvoller Stimme zur Tende singen. Das Spielen der Tende ist immer noch  beliebt und die älteren Frauen unterstützen die jungen Frauen beim Erlernen der Texte. Vor allem bei großen Festen ist das Spielen der Tende erwünscht.


 

GEDICHTE UND LIEDER
Die Poesie der Imuhar (Tuareg) ist recht bekannt und einige Abhandlungen sind dazu verfasst worden, vor allem über die Dichtkunst im Niger (Siehe zum Beispiel Bernus/agg-Albostan 1981; Casajus 1989b; Ghabdouane 1989; Albaka/Casajus 1992; Casajus 2000b).
Meist sind die Dichter bekannte und  berühmte Persönlichkeiten und hochgeschätzt. Die Themen der Gedichte sind vielschichtig, so findet man Gedichte über die  Liebe, die Ehre, die Frauen, den weiten Raum und über die Reise (Badi 2006: 61).

BEZEICHNUNGEN
Tesawit übersetzt Foucauld (1951-52: 1472) mit „piece de vers“ und der poetische Rhythmus bzw. die Versmetrik der Gedichte und Liedtexte wird Anaya bezeichnet (Ritter 2009a: 1036). Lied wird von Ritter (2009: 476) als Asahar übersetzt und dessen Rhythmus (2009b: 261) als Azal. Aliwen (Ritter 2009a: 163) sind bestimmte Lieder, die von Frauen bei Hochzeiten gesungen werden. Ein Tanzlied wird  als Ezale (Esele) bezeichnet.

STRUKTUR
Die Lyrik der Imuhar (Tuareg) verwendet den Endreim und die Verse sind prinzipiell identisch in Silbenzahl und Metrum. Die Anzahl der Silben im Ahaggar beläuft sich meist auf sieben oder acht und im Air findet man häufig einen elfsilbrigen Aufbau (Ghabdoune 1989: 11). Es handelt sich um ein streng mathematisches Gerüst, wobei jede Strophe mit demselben Laut endet. Die Länge eines Gedichtes kann variieren und sie können instrumental begleitet werden.

THEMATIK
Casajus (2000c: 66) benennt drei Kategorien von Tesawit:
- Texte, die in der Einsamkeit verfasst werden
- Lieder der Frauen anlässlich religiöser oder familiärer Feste
- und traditionelle Gesänge bei Hochzeiten.

Das Thema der Gedichte und Lieder kann sich mit Krieg und Kampf beschäftigen und zu regelrechten Versduellen ausarten (Siehe dazu Casajus 1998). Sehr oft wirkt die fünfte und sechste Dimension in die Komposition mit ein. Die Texte, die im Esuf (Einsamkeit) verfasst wurden, haben eine melancholische Komponente. Sie interpretieren die Sehnsüchte nach einer schönen Frau, einem geliebten Reitdromedar oder nach einem bestimmten Ort.

Turna n tera

1-Tahlaft wa teksen igraw t wayleli
2- Hund yunaî ales igraw t geleli
3- Iccak ini temara wer telli
4-Ed ga terut ellil tenneri

Malade d`amour

1-Celui qui n`a pas les faveurs amoureuses de Tahlaft, doit être pris de tourment
2- Son cœur compressé et sa tête désorientée
3- Pareil à celui dont la monture est absente
4- Et qui devait affronter de désert ardent en plein été. (aus Badi 2006: 126)

Die Lieder der Frauen können eine Gefühlsregung aus dem Moment heraus ausdrücken oder ein bekanntes Tesawit verwenden. Die Melodien zu den Texten werden dabei zumeist einem bestimmten Repertoire entnommen (siehe Melodien bei Badi 2006).

SOZIOKULTURELLER WERT
Sowohl das Vortragen von Gedichten als auch das Singen von Liedern stellt bei den Imuhar-NomadInnen ("Tuareg") einen hohen soziokulturellen Wert dar, durch ihre verbale Virtuosität erlangen die InterperetInnen Prestige. „Improvisational talent and ability to play with linguistic forms are highly valued in Bedouin culture“ (Abu-Lughod 1986: 173).

Manche Gedichte wecken Erinnerung an den Zeitpunkt als man sie das letzte Mal gehört hat oder bilden persönliche Statements mit spezifischen sozialen Inhalten. „Poetry as a form provides a modest way of communicating immodest sentiments of attachment and an honorable way of communicating the sentiments of dependency“ (Abu-Lughod 1986: 240). So kann die Verwendung von Gedichten oder Liedern eine soziale Distanz überbrücken, eine Beziehung vom Vortragenden beziehungsweise von der Vortragenden zu den ZuhörerInnen schaffen und indirekt die Gefühle einer Person übermitteln. „Performance puts the act of speaking on display - objectifies it, lifts it to a degree from its interactional setting and opens it to scruting by an audience“ (Bauman/Briggs 1990: 73). Die Bewertung der ZuhörerInnen ist ein prägnanter Teil der Darbietung. Jedoch ist auch die Komplexität des Beitrages in der jeweiligen Sprache zu sehen. „Some forms of verbal art – verse, song, or chant – depend crucially on morphological and phonological, even syntactic, properties of the language in which it is formed. In such cases the art could not exist without the language, quite literally“ (Hale 1998: 204).

Gedichte sind jeweils einerseits eng an die Person gebunden, die sie gedichtet hat, und anderseits an die Person, die sie häufig rezitiert. Abu-Lughod (1986: 25) bringt ein Beispiel über ein Gedicht der Awlad Ali (Ägypten), das sie von einer Frau gehört hat. Als sie ihrer Gastfamilie von dem Gedicht erzählt, erkennen sie die Frau, die dies gesagt hat und erklären ihr nicht die Worte des Gedichtes, sondern was der Frau Tragisches passiert ist, nämlich der Verlust ihres Sohnes. Wenn man nicht mit den soziokulturellen Hintergründen inklusive den familiären Umständen vertraut ist, ist es für Aussenstehende sehr schwierig die wahren Bedeutungen der Gedichte zu erkennen.

„Poetry as a discourse of defiance of the system symbolizes freedom – the ultimate value of the system and the essential entailment of the honor code“ (Abu-Lughod 1986: 252).

Die traditionelle Musik der Imuhar (Tuareg) wurde und wird hauptsächlich von Frauen gespielt, während die neue (Gitarren-)Musik vorwiegend von jungen Männern gespielt wird.

Bekanntes Frauen-Ensemble:
Tartit / Mali

 

POETISCHE LIEDER ZUR IMZAD MUSIK

 

Tera  n man

Wer diner tezzebab ed taharan
Wer nexdem afarag ed tezzayen
Eddaner tilmen der tibaylalnen
Emedran in keradet mawaden
Bada, et Tawwed, Fenata n tannaten
I illan rur kmet ikkat tikemsen
Ikraf ebeydeg iha timewen
(Badi 2010 :91)

Les Plaisirs de la vie

Je ne m`occupe ni des vignes ni des figuiers
Je ne labour pas la terre ni travaille les palmiers
Je m`occupe des chamelles dans les solitudes
Mes désirs vont aux trois de plus belles des filles
Bada, Tawwed et Fenata, les trois sœurs
Que Dieu me transporte auprès de vous bien habillé
Paissant dans les acacias, mon mehrari est bien près de moi
(Badi 2010 :92)

Die Liebe der Seele

Mich füllt weder der Rebstock noch die Feigenbäume aus
Ich arbeite nicht im Garten und nicht mit Dattelpalmen
Es erfüllt mich die Kamelstuten zwischen den Steinen
Mein Wunschtraum sind drei junge Frauen
Die Schwestern Bada, Tawwed und Fenata
Ich will zu ihnen gehen mit einer Tunika (Gewand mit grossen Ärmeln)
Das gefesselte weisse Kamel zwischen den « weiblichen » Akazien
(Tamahaq-Übersetzung von A.Fischer)

 

Ul iraqqen

Nek ahel warer ul in hund ahes
Kud terid sewred des elrellay iwes
Kud terid tedded des Ihebgan n azref
(Badi 2010 :65)

 

Un cœur qui brûle d´amour

Aujourd`hui  mon cœur brûle comme un incendie
Tu peux y mettre une bouilloire à bouillir
Tu peux y fendre des bracelets en argent
(Badi 2010 :66)

Ein Herz in Flammen 

Heute ist mein Herz wie ein grosses Feuer
Wenn du willst bringst du damit einen Wasserkessel zum kochen
Wenn du willst zerteilst du damit Armbänder aus Silber
(Tamahaq-Übersetzung von A.Fischer)
 

 

LIEDER AUS DEM EXIL

Tenere den mallat semmat

Tenere den mallat semmat
war hen aman, seddeglan marhan-net
taqqim bas la imarhan, settogged
e-temschar, kay ed-sakt ezkwan aqqoran,
hekschan-net
ibas lan ilaktan, aldaschnat
tehruten, bas dalatan reschran.
Temmadrit annenkar annawen isewlan
anneschli dagg (dat?) alrar edd igan ibardan.
(aus Klute 2013: 678-679)

Die Wüste dort ist weiß und bitter

Die Wüste dort ist weiß und bitter
nicht gibt es in ihr Wasser, aus ihr sind fortgezogen ihre Liebhaber
sie blieben ohne Liebhaber, du von weitem schaust auf die Ruinen,
du wirst erinnert werden an die Gräber, die trockenen
ihre Bäume nicht haben Zweige,
ermüdet sind die Herden, nicht ergrünt sind die Täler.
Jugend, lasst uns aufstehen, steigen wir in die Felsen
wir wollen fortlaufen von der Schande, die macht die Pfade.
(aus Klute 2013: 678-679)

* Dieser Text ist mit Auzügen aus dem Buch  SPRECHKUNST DER TUAREG

Imuhar (Tuareg) neue Musik

 

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